.Gastartikel zur Blogparade „Und täglich grüßt die Rabenmutter“ von von Katja Kohlstedt

Als Marianne in einer Facebookgruppe ihr Vorhaben, eine Blogparade zum Thema Rabenmütter zu starten, vorstellte, habe ich sofort impulsiv geantwortet: „Als inzwischen überzeugte Rabenmut­ter…bin ich gerne dabei!“

Vor sieben Jahren habe ich zum ersten Mal einen Gruß von meinem noch im Bauch befindlichen Jungen erhalten – ein unbeschreibliches Glücksgefühl an dem Morgen! Ich war voller Vorfreude, diesen neuen Menschen kennenzulernen und bis heute fühle ich tiefe Dankbarkeit über sein Da­sein. Gleichzeitig bin ich ebenso dankbar, an dreieinhalb Tagen in der Woche ganz für mich zu sein und meinen Sohn in den guten Händen seines Vaters zu wissen. 

Die Lebensumstände, die sich inzwischen in unserer Familie ergeben haben, entsprechen sicher nicht mehr den Idealvorstellungen, die ich selbst einst hatte. Anerzogen und geprägt durch eine Gesellschaft, die bis heute zu Teilen noch darum ringt, eine Norm zu definieren und durchzuset­zen. Durch die Hollywoodfilme zum Beispiel, die ich in meiner Jugend in den 80igern und 90igern ständig sah, oder auch „Traumhochzeit“. Allerdings war ich auch „Emanze“ genug, um eins ganz genau zu wissen: Ich werde keine Mama am Herd, ich werde immer auch mich selbst verwirkli­chen wollen (gut, diese Formulierung gelang mir mit 20 noch nicht, das Gefühl war dafür umso stärker).

Vertraue Deiner Intuition

Als ich dann mit 35 wirklich und wahrhaftig ein Kind erwartete, begann natürlich auch in mir – wie wohl in jeder erstmaligen Mutter – der Frageprozess:

Wie geht das?
Was ist richtig?
Wie macht man das?

Und alle um einen herum geben Dir ihre Antwort. In diesem Dschungel aus vielfältigen „das macht man so“ halfen und helfen mir besonders zwei Dinge: Vater und Mutter waren und sind sich sehr einig, wie wir unseren Sohn begleiten und unterstützen wollen auf seinem Weg, bis er Flügel hat, selbst zu fliegen.

Und das andere ist meine Intuition und das Vertrauen darauf, dass ich als Mama sehr genau spü­ren kann, was mein Sohn gerade im jeweiligen Jetzt braucht. Letzteres ist ein Lernprozess, der bis heute anhält. Indem ich das Vertrauen in mich selbst stärke, die Stimme aus meinem Herzen und Bauch immer besser hören und im Kopf verstehen kann – auch in vielen anderen Lebensberei­chen. Dafür braucht es dementsprechend viel Rückzugszeit – die ist mir dankenswerterweise ge­geben. Und ich finde, jede Frau darf sich diese Möglichkeiten schaffen!

Altlasten, die Nachwirken: „Hausfrauenehe“ bis 1976 gesetzlich verankert!

Wir kommen aus einer Geschichte unserer Vorfahren, die ein Rollenbild etabliert haben, das wir heute noch nicht ganz aus unseren Köpfen bekommen haben. Frauen dürfen erst seit einigen Jahrzehnten überhaupt wieder am gesellschaftlichen Leben mitgestalten. Sie dürfen erst seit 1958 ohne Erlaubnis des Ehemannes eine Arbeit annehmen und über ihr Geld selbst verfügen. Und es dauerte nochmal 20 Jahre bis zum Eherechtsreformgesetz, das Frauen von der Pflicht (!) zur Haushaltsführung entband. Ein sehr interessanter Artikel ist bei der Zeit im Oktober 1976 erschie­nen. Im Fazit heißt es:

Ginge es allein nach dem Gesetz, so hätten Mitte nächsten Jahres alle Ehefrauen die Wahl zwi­schen Haushalt, Beruf oder einer Kombination aus beidem. In der Praxis haben sie diese Wahl­möglichkeit meistens nicht: Ihre Ausbildung ist schlecht, ihre Berufsaussichten sind schlecht, ihre Bezahlung würde schlecht sein und ihr Selbstvertrauen ist nach einigen Jahren der Isolation in Haushalt und Familie mindestens angeknackst. Diese Voraussetzungen zu ändern, wird mehr Zeit brauchen als die Änderung des BGB. (Quelle: https://www.zeit.de/1976/43/hausfrauen-ehe-abgeschafft)

Frauen kommen langsam, aber gewaltig

Vor genau 42 Jahren geboren erlebe ich mein ganzes Leben, wie die Änderung dieser Vorausset­zungen sich allmählich und nur Stück für Stück – doch unaufhaltsam und kontinuierlich – ändern. Gesetze ändern nicht automatisch Glaubensätze.

Vieles ist sicher positiv zu sehen: Ich finde, 42 Jahre sind gar nicht so viel Zeit, um über Jahrhun­derte mit Zwang durchgesetzte patriarchalische Rollenbilder vollends loszulassen und viel besse­re, schönere, angemessenere zu entwickeln! Dafür haben wir schon ganz schön viel erreicht, je nach Region mit mehr oder weniger Selbstvertrauen neue Wege ermöglicht. In den 80igern hat mich persönlich eine mutige Frau dabei ganz besonders beeindruckt, vor allem mit diesem Song: Frauen kommen langsam aber gewaltig (Ina Deter)

Was zu tun bleibt: Rollenbilder und Vergleiche überwinden

Was das Selbstvertrauen vieler Mütter sicher ganz arg niederdrückt, ist meiner Beobachtung nach die Tendenz, sich mit anderen Müttern sowie durch Film, Buch und neuerdings Foren vorgesetzten Rollenbildern zu vergleichen. In dem Moment, als mein Sohn in den Kindergarten kam, ging das auch bei mir los. Ich mag Backen nämlich überhaupt nicht! Wir waren und sind morgens früh nicht immer pünktlich. Ich habe genug Muttermilch abgepumpt, um am Leben draußen zeitlich unbe­grenzt teilzunehmen. Es hat super funktioniert – so why not? Schon als Baby hat unser Sohn kein Problem damit gehabt, bei der Oma zu schlafen. Diese uns ermöglichte Freiheit haben wir El­tern dann auch zunehmend genutzt – Danke, Oma!

Einen angemessenen Umgang finden – mit Deinem Kind und Dir!

Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass das afrikanische Sprichwort „Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf“ absolut stimmig ist. Wobei ich vermute, dass im Original sicher nicht die Vorstellung existierte, ein Kind irgendwo hinzuziehen. Prügeln, Schreien, Beleidigen, Bestrafen, um zu erziehen, ist Gewalt. Geht gar nicht. Auch da sind wir erst langsam dabei, neue Wege zu entdecken, die angemessener sind.

Ja, auch mir platzte in den vergangenen Jahren immer mal wieder der Kragen und ich schnauze mein Kind dann an. Sobald die Gefühle abgeflaut sind und wir in ein Reflektionsgespräch gehen, entschuldige ich mich dann bei meinem Sohn für mein unangemessenes Verhalten. Das geht! Es erfordert einfach nur die Annahme, dass ich mich wie jeder andere Mensch auch manchmal nicht angemessen verhalte. Ich habe einfach aufgehört, mich deswegen selbst zu beschimpfen. Wer sich nämlich die ganze Zeit innerlich selbst niedermacht, wird vermutlich irgendwann anfangen, Beweise zu suchen, die das eigene Verhalten als richtig bewerten lassen. Und „was immer der Denker denkt, wird der Beweisführer beweisen“ (Orrs Gesetz, zitiert nach Robert Anton Wilson 1995, S. 21).

Was mir wirklich wichtig ist

Eine in meiner Sicht in dieser Zeit angemesse Mutterrolle ist, meinen Sohn in die Selbständigkeit zu begleiten, indem

  • ich ihm so viel eigene Entscheidungsräume erschaffe, wie angemessen und möglich,
  • auch mal ja zu sagen, wo ich vorher nein sagte, wenn er ein gutes Argument hat,
  • ihn alleine machen zu lassen, wenn er ausprobiert, hinfällt, ihm langweilig ist, bis er ausdrü­cklich um Hilfe bittet
  • und ganz besonders: Vorbild sein durch authentisch leben – eben auch mal alleine sein wollen und dazu stehen zum Beispiel.

Dabei mögen andere Menschen insgeheim manchmal denken „was für eine Rabenmutter“ und da­bei die Nase rümpfen. Was sie dabei übersehen ist, wie ich mit Argusaugen jederzeit bereit bin, meinen Sohn zu schützen und zu verteidigen. Gegen Ungerechtigkeiten und Beleidigungen durch Erwachsene zum Beispiel.
Das macht mich zu einer echten Rabenmutter, wie sie in der Natur wirk­lich sind. Und ich vergleiche mich aus Herzen gerne mit diesen wunderbaren sozialen und intelli­genten Tieren!

Willst mehr erfahren: Auch bei Inge Schumacher klopft die Rabenmutter an, genau so wie bei Vivien Schulter
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Bildnachweis: Zeichnung – Mia Anima, Rabenbild: pixabay – rook-2369802_1920