Ein Plädoyer für das (freie) Spiel*)

Bald ist es so weit: In wenigen Tagen beginnen auch bei uns in Österreich die von vielen schon so heiß herbei gesehnten Ferien. Die letzten Tage waren total anstrengend. Zumindest bei meinem Sohnemann und den Kids, die ich begleiten durfte.

Endlich Zeit zum Erholen, Zeit zum Nichtstun, Zeit zum Spielen.

Wenn da bloß nicht die Schularbeit oder der Test gleich nach den Ferien wäre. Für die sollte ja doch auch gelernt werden. Oder?
Uihhh…. ich kann sie förmlich spüren, die Zerrissenheit der Mamas, die sich nicht sicher sind. Die ihren Kids einerseits Freizeit, Erholung und das Spielen schenken wollen, die aber auch die Notwendigkeit des Lernens zu sehen glauben. 

Euch, und den Mamas, die immer wieder zu hören bekommen, dass ihr Kind viel zu verspielt und verträumt sei, um es in der Schule zu etwas zu bringen, Mamas, die dann versucht sind, ihr Kind möglichst früh zu fördern, möchte ich mit diesem Beitrag ein wenig die Augen öffnen. Ich möchte ein anderes Bild auf zwei Tätigkeiten, die scheinbar nicht zu vereinbaren sind, bringen: Lernen und Spielen

Spielen wird in unserer Gesellschaft total unterschätzt

Und mit Spielen meine ich nicht, das „Herumtatteln“ und –wischen auf irgendwelchen elektronischen Geräten. (Wobei auch diese durchaus sinnvoll genutzt werden können.)
In unserer Leistungsgesellschaft hat Spielen einen sehr niedrigen Stellenwert. Da geht es nur um Lernen, Vergleichen, Streben, Optimieren. Da ist kein/kaum Platz für das Spiel.

Dabei ist Spielen das beste Lernwerkzeug, das es gibt. Das sagt zumindest die Neurobiologie. Denn DAS Lernen gibt es nicht! Lernen ist nichts, das man machen kann. Lernen ist etwas, das uns passiert.

Gerhard Hüther geht sogar so weit zu sagen, dass Lernen eine angeborene Fähigkeit ist (so wie essen, trinken, schlafen, atmen, usw.). Und wer einmal ein kleines Kind beobachtet hat, kann die Wahrheit hinter dieser Aussage erkennen. Niemand sagt einem Baby, wie es seine Ärmchen zu bewegen hat. Wie es nach dem Ding, das sich ober seinem Bettchen so attraktiv bewegt, greifen soll. Das passiert einfach. Ganz spielerisch. Ohne Anstrengung. Und irgendwann ist es dann so weit und es bekommt das bunte Ding zu fassen.

Spielen ist eine angeborene spontane Veranlagung

Spielen ist somit die natürlichste Sache der Welt. Es ist auch das erste was Kinder tun, sobald man sie in Ruhe lässt. Alle Kinder der Welt spielen, egal ob sie Hunger haben oder sich in einem Kriegsgebiet befinden. Der Drang bzw. Hang zum Spielen ist stärker als alles andere – größer als Hunger Schmerz oder Angst.

Das Spiel ist auch kein Zufall.
Spielen ist ein Ausprobieren.
Ein sich Herantasten.
Immer wieder wiederholen, bis das Ziel erreicht ist.

Kinder nehmen ihr Spiel sehr ernst – sie SIND ihr Spiel: Mit jeder Faser ihres Körpers sind sie in ihr Spiel vertieft. Kinder können in ihrem Spiel alles sein, alles erleben, alles erreichen.  Sie sind in ihrem Spiel vollkommen frei. Und kreativ.

Sie spielen und lernen dabei. Ganz einfach. Ohne Anstrengung. Es passiert einfach, dass sie Neues entdecken, Zusammenhänge erkennen.

Kinder trennen nicht zwischen Spielen und Lernen. Für sie ist es dasselbe.

Nur wir Erwachsenen trennen das. Machen einen Unterschied. Und was für einen.  Für uns Erwachsene sind Spielen und Lernen sogar „Gegensätze auf der Ernsthaftigkeitsskala“ (Andre Stern *)).

Das Paradoxon von Spielen und Lernen

Und so kommt es, dass wir von unseren Kindern verlangen, mit dem Spielen aufzuhören um Sinnvolleres zu tun, nämlich um zu lernen.

Kinder sollen also für das Lernen etwas aufgeben, das ihnen ganz natürlich erscheint: das Spielen – etwas, das für sie so unlogisch wie „atmen ohne Luft zu holen“.

Mit dieser Denke bringen wir aber nicht nur unsere Kinder durcheinander – wir sind auch ziemlich inkonsequent:

Denn alle Qualitäten, die wir heute bei erwachsenen Menschen sehen wollen, sind die, die unsere bereits Kinder haben, wenn sie in ihrem Element – im Spielen – sind:

    • Konzentrationsfähigkeit
      ein spielendes Kind ist bis in die letzte Faser seines Körpers bei seinem Spiel – also hoch konzentriert
    • Ernsthaftigkeit
      welches Kind nimmt sein Spiel und das was es tut nicht erst?
    • Ausdauer
      Wer schon einmal ein Kind beim Turmbauen beobachtet hat, weiß was Ausdauer bedeutet. Ebenso Eltern, die ihren Kinder immer und immer wieder dieselbe Geschichte vorlesen mussten (ohne dass sich das Kind nach einer anderen sehnte)
    • über die eigenen Grenzen hinauswachsen:
      Ich erinnere mich noch gut, an den Tag als mein Sohn das erste mal alleine aufgestanden ist – gefühlte 100 mal hat er sich in seinem Gitterbettchen an den Stangen hochgezogen
    • Freiheit
      Kinder, die in ihrem Spiel sind können alles, was auch immer und wann auch immer – sie müssen es nur spielen
    • Kreativität
      Kinder, wenn sie in ihrem Spiel sind leben Kreativität: so wird aus Zündholzschachtel in einem Moment eine Lade und im nächsten ein Auto, … sie lieben es mehrere Antworten auf eine Frage zu finden

All diese wundervollen Qualitäten wünschen wir uns für unsere Kinder, wenn sie erwachsen sind. Und „damit sie diese bekommen, reißen wir sie aus ihrem Spiel heraus, wo sie diese Qualitäten entwickeln würden, um sie (durch Lernen) auf diese Qualitäten vorzubereiten!!!“ (Andre Stern)

Also wenn das nicht paradox ist.

Was nämlich in unserer Gesellschaft passiert ist, dass wir Lernen mit Auswendiglernen verwechseln. Auswendiglernen ist etwas das man TUN kann. Aber auch damit gibt es Probleme.

Den Großteil der Dinge, die wir irgendwann einmal (auswendig) gelernt haben, vergessen wir nämlich auch schnell wieder. Denn unser Gehirn ist primär nicht für das Speichern von Infos ausgelegt, sondern für das Lösen von Problemen. Informationen werden nur dann abgespeichert, wenn auch das emotionale Zentrum betroffen ist,  die Informationsaufnahme auch mit Emotionen verbunden ist. Kombiniert mit Emotionen kann somit jeder Mensch theoretisch alles lernen:

Gerhard Hüther bringt gerne das Beispiel, dass selbst ein 85jähriger Mann in der Lage ist, in 6 Monaten Chinesisch zu lernen – vorausgesetzt er ist richtig motiviert (wenn er z.B. in Chinesin verliebt ist). Wenn er es nicht schafft, eine so schwierige Sprache in so kurzer Zeit zu lernen, ist das kein Zeichen eines geistigen Problems sondern mangelnden Interesses.

Somit ist auch die Aussage vieler Kids wie z.B. „ ich kann kein Mathe/Englisch…“ aus Sicht der Neurobiologie nicht richtig – eigentlich bedeutet diese Aussage lediglich „mich interessiert Mathe/Englisch… derzeit nicht“. Es fehlen die dafür notwendigen positiven Emotionen. Und dass Ablehnung oder Hass die falschen Emotionen sind, darüber braucht man nicht weiter diskutieren.

Und darin liegt meiner Meinung auch die Ursache für viele schulische Probleme. Lernen, so wie es in der Schule verlangt wird – also das Abspeichern großer Informationsmengen – funktioniert nur selten dauerhaft, weil die emotionale Beteiligung fehlt.

Es scheint also auch für den schulischen Erfolg wichtig zu sein, dass Lernen mit Emotionen verbunden ist oder spielerisch erfolgt.

Meine Empfehlungen für alle Mamas:

Lasst bitte eure Kinder spielen so oft und viel sie wollen bzw. es euch möglich ist. Auch wenn es euch mühsam oder vielleicht sinnlos erscheint.

Noch heute denke ich mit gemischten Gefühlen an die zahlreichen Puppentheaterspiele meines Sohnemannes zurück bzw. an seine Auftritte in seinem Eulalia TV. An die immer gleichen Meldungen und die anfangs oft zusammenhanglosen Storys. Je mehr Zuschauer er hatte, desto lieber war es ihm. Was zur Folge hatte, dass diese Auftritte immer fester Bestandteile bei Besuch von Verwandten und Freunden war.

Aber was soll ich euch sagen – heute 5 – 8 Jahre später ist er DER Speaker wenn es um Referate geht. Er hat überhaupt keine Scheu, sich vor eine Gruppe von Leuten zu stellen und über ein Thema zu referieren. Und seine Schulkollegen buhlen um seine Gunst, wenn es um Partner-Referate geht.

Schafft bitte dafür die zeitlichen Rahmenbedingungen und verzichtet auf Fördermaßnahmen, die zu Lasten des Spiels gehen.

Versucht (vor allem in der Anfangszeit der Schullaufbahn) dem schulischen Lernen einen spielerischen Touch zu erhalten.

So kann z.B. Rechnen lernen spielerisch und unterwegs trainiert werden, in dem ihr die Quersummen von Nummernschildern bildet. (weitere Ideen zum spielerischen Lernen gibt es in meinem E-Book „33 clevere Games für smarte Kids“)

Auch beim 1×1 lernen muss man nicht zwangsläufig still beim Schreibtisch sitzen. Im Gegenteil, vor allem Kinder, bei denen der kinästhetische Lerntyp stark ausgeprägt ist, lernen leichter, wenn sie in Bewegung sind – also beim Trampolinspringen oder mit einem Stressball. (klicke hier, wenn du mehr erfahren möchtest, wie auch dein Kind richtig (&) leicht lernen kann)

Artikel, die dich auch interessieren könnten:

 

 

*) In Anlehnung an einen Vortrag von Andre Stern, den ich 2018 auf dem Kongress für mentale Stärke in Wien hören durfte